So, 12.11.2023 | 11:00 Uhr
Allerheiligen-Hofkirche der Residenz

1. Odeon Konzert / T-benefitsme - 30 %

„OUVERTÜRE“
Kritik
 

Vorschau von Crescendo:

Verfemt – verfolgt – vertrieben

Mit Werken von Paul Ben-Haim, Edison Denisov, Arsen Babajanyan u.a. findet unter dem Motto »Varieté« am 21. Mai 2023 in der Allerheiligen Hofkirche der Münchner Residenz das Saison-Abschlusskonzert der Odeon-Reihe statt.

„Ich bin nicht Russe, obwohl Russisch meine Mutter­sprache ist… Aber die eigent­liche Mutter­sprache war wiederum das halb­ver­ges­sene und halb falsche Deutsch der Wolga­deut­schen. Dann hatte ich noch das Problem, dass ich zur Hälfte Jude bin, obwohl ich Jiddisch über­haupt nicht beherr­sche. Also gehöre ich zu niemandem: weder zu den Russen, noch zu den Deut­schen aller Art, noch zu den Juden. Ich habe kein Land, ich habe keinen Platz… Wenn ich jetzt irgend­wohin emigrierte, blieben mir doch alle Probleme“, suchte der Kompo­nist Alfred Schnittke seine Iden­tität zu beschreiben. Seine Suite im alten Stil, eine Folge stili­sierter Barock­tänze, aus dem Jahr 1972 eröffnet das Odeon-Abschluss­kon­zert der Saison 2022/2023.

In der Reihe der Odeon Konzerte musi­zieren Studie­rende der Meis­ter­klassen mit ihren Profes­soren und promi­nenten Gästen. Zu den Ausfüh­renden gehören die Saxo­fo­nisten Márton Bubreg, Rocco Ceraolo, Nikolai Kushnir, João Marinho, Andrej Omejc, Anna-Marie Schäfer, José Sousa, Alina Weiss, Zihao Wang und Laura Pollinger aus der Meis­ter­klasse des Saxo­fo­nisten Koryun Asatryan, der Pianist Ingo Quast, der Cemba­list Tung-Han Hu, der Klari­net­tist Luka Gantar, der Schlag­zeuger Davide Lovato und der Kontra­bas­sist Anton Kammer­meier. Die Leitung der Matinée haben Johannes Ober­meier und Armando Merino inne. Veran­staltet wird die Reihe seit 2006 von EURO­PA­MU­SI­CALE, dem Münchener Konzert­verein und der Hoch­schule für Musik und Theater München. Auf dem Programm stehen selten gespielte Werke der Kammer­musik in unge­wöhn­li­chen Beset­zungen sowie verfemte Musik verfolgter, vertrie­bener und ermor­deter Kompo­nisten der NS-Zeit.

Die fünf Mati­neen der Reihe waren dem Kompo­nisten Paul Ben-Haim gewidmet. Er wurde 1897 als Paul Fran­ken­berger in München geboren, studierte an der Akademie für Tonkunst und war Assis­tent von Bruno Walter und Hans Knap­perts­busch. 1924 wurde er Chor­leiter und Kapell­meister in Augs­burg, bis man ihn 1931 vom Dienst suspen­dierte. Er kehrte nach München zurück und wirkte als Liebe­gleiter und Kompo­nist. 1933 emigrierte er nach Paläs­tina, wo er den Namen Paul Ben-Haim annahm. In Tel Aviv lernte er die Sängerin Bracha Zefira kennen und durch sie die jüdi­sche und arabi­sche Musik, die fortan die Melodik und Rhythmik seiner Kompo­si­tionen beein­flusste. Er schrieb Sinfo­nien, Sonaten und Konzerte sowie litur­gi­sche Werke und Lieder und wurde nach 1945 einer der bekann­testen Kompo­nisten Israels, wo er 948 starb. In der Abschluss­ma­tinee erklingt von ihm die Pasto­rale Variée op. 31b aus dem Jahr 1945. Mit ihr erfüllt er sich seinen Wunsch, einen neuen, seine Umge­bung wider­spie­gelnden Stil zu schaffen. In den farben­frohen Varia­tionen verbindet er west­eu­ro­päi­sche und orien­ta­li­sche Tradi­tionen.

Das Programm steht unter dem Motto „Varieté“, und eben­falls zu hören gibt es Jazz­kom­po­si­tionen von Dmitri Schost­a­ko­witsch und Leonard Bern­stein sowie Poiema V für acht Saxo­fone, Klavier und Schlag­zeug von Arsen Baba­janyan. Er stammt aus Jerewan und lebt seit seinem Studium an der Musik-Hoch­schule in München. Aus dem sibi­ri­schen Tomsk stammte der Kompo­nist Edison Denisov. In seiner Sonate aus dem Jahr 1960 lotet er die Flöte in ihrer vollen Höhe und Tiefe aus, wie er auch extreme dyna­mi­sche Gegen­sätze verar­beitet.

Zur Auffüh­rung kommen aber auch Arran­ge­ments der Gesänge Maria, mater gratiae und O vos omnes von Carlo Gesu­aldo. Der Fürst von Venosa ist als Kompo­nist ebenso berühmt wie als Mörder seiner Ehefrau und ihres Geliebten in flagrante delicto. Seine geist­li­chen Kompo­si­tionen aller­dings blieben lange unbe­kannt. Bis zum 20. Jahr­hun­dert gab es als einzigen Hinweis darauf nur einen Brief an den Herzog Alfonso, worin der Kompo­nist Alfonso Fonta­nelli berichtet, der Fürst habe eifrig geschrieben und außer mehreren Madri­galen eine Motette und eine Arie kompo­niert. Das fünf­stim­mige Maria, mater gratiae schrieb Gesu­aldo vermut­lich für den Gebrauch zum Fest der sieben Schmerzen Mariae, das unmit­telbar auf das Fest der Kreuz­erhö­hung am 14. September folgte. Und auch das alte Klage­lied O vos omnes, das im 16. Jahr­hun­dert häufige Verto­nungen erfuhr, wurde von Gesu­aldo wirkungs­voll bear­beitet. Wolf­gang Rihm gibt in der Gesu­aldo-Biografie von Glenn Watkins eine emotio­nale Beschrei­bung seiner Musik: „Gerade hat der Prin­cipe noch mit dem Dolch in Leichen gesto­chen, schon setzt er pein­volle, süßdunkle Kontra­punkte, die schönsten, die es gibt. Bestimmt war er grün im Gesicht, und gelb­licht. – Er bleibt ohne Beispiel.“

von Ruth Renée Reif

17. Mai 2023

Beschreibung
 
Programm
 

W.A. Mozart: Klavierquartett g-Moll KV 478
Paul Ben-Haim: Zwei Lieder nach Stefan George für Bariton und Klavier

  • Litanei (Tief ist die Trauer) (1928)
  • Entrückung (Ich fühle Luft von anderen Planeten) (1931)

 

II Teil:
R. Schumann Klavierquartett Es-Dur op. 47